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Die leise Kraft des guten Unterrichts: Gedanken über Networking, Bubbles & echte Entwicklung

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In den letzten Jahren hat die Salsa-Szene eine spannende, aber auch ambivalente Entwicklung durchgemacht.Wir reisen mehr. Wir vernetzen uns schneller. Wir folgen einander auf Social Media und bauen damit Kontakte in die ganze Welt auf.

Und ja – das kann großartig sein: Austausch, Inspiration, neue Impulse für den eigenen Tanz. Doch zwischen all diesen Möglichkeiten taucht auch ein Schatten auf.

Etwas, das viele Tänzerinnen und Tänzer spüren, aber selten offen benennen.


Der Druck, sich ständig zeigen zu müssen

Immer häufiger entsteht das Gefühl, man müsse dauernd präsent sein. Etwas posten, sichtbar bleiben, dazugehören. Man müsse eine Art „Tanz-Identität“ im Internet pflegen – egal, ob der Inhalt wirklich Substanz hat.

Ein Reel hier. Ein „Networking“-Foto dort. Der passende Hashtag, um bloß nicht aus dem Radar zu verschwinden.

Oft schwingt dabei eine subtile Angst mit:

Bin ich überhaupt noch Teil der Szene, wenn ich online nicht sichtbar bin?

Dabei geht leicht vergessen:

  • Nicht der lauteste Inhalt ist der wertvollste.

  • Nicht die meisten Kontakte formen die besten Tänzer.

  • Nicht die größte Reichweite schafft die tiefsten Verbindungen.


Globale Kontakte – lokale Entfremdung?

Je stärker wir uns weltweit vernetzen, desto schneller verlieren wir manchmal den Blick für das, was wirklich zählt: die eigene lokale Community.

Die Menschen, mit denen wir jeden Dienstag im Unterricht wachsen. Die Partner, mit denen wir jede Woche tanzen, scheitern, lachen, weitermachen. Die Lehrpersonen, die uns kennenlernen, korrigieren, fördern – Schritt für Schritt.

Ein globales Netzwerk schafft oft eine schöne Bubble, in der wir uns „zugehörig“ fühlen. Doch diese Zugehörigkeit ist flüchtig.

Sie ist selten nährend, selten tief, selten wirklich verbindend.


Wahre Qualität ist meist leise

Wer wirklich an sich arbeitet – Technik, Körperhaltung, Musikalität, Partnering – postet davon selten jeden kleinsten Fortschritt.

Die echte Entwicklung passiert:

  • im Training

  • im Wiederholen

  • im Drillen

  • im Verstehen

  • in Momenten des Frusts und Scheiterns


Und all das passiert ohne Kamera. Ohne Likes und ohne Beweisfoto.

Ironischerweise sind es oft genau die Tänzer, die wenig posten, die langfristig am weitesten kommen. Weil ihre Energie in der Sache steckt – nicht in der Außenwirkung.


Community: eine schöne Idee, die oft missverstanden wird

Für viele bedeutet „Community“ heute: Harmonie. Zugehörigkeit. Keine Reibung. Alles easy cheesy... :-)

Doch echte Community entsteht nicht durch eine perfekte Selbstdarstellung nach außen.

Sie entsteht meiner Meinung nach durch:

  • echte Begegnungen

  • gemeinsame Erfahrungen

  • Lernen in Nähe

  • Verletzlichkeit

  • Verlässlichkeit

  • Austausch

  • Wachstum

Nicht durch Likes. Nicht durch Networking. Nicht durch „Ich war auch dort“-Bilder.


Ein Aspekt aus Precht: Der paradoxe Wunsch nach Individualität

Ein Gedanke aus Richard David Prechts „Die Angstgesellschaft“ passt erstaunlich gut zu dieser Entwicklung: Er beschreibt, wie der moderne Ruf nach Individualität und Authentizität oft gar nicht zu mehr Einzigartigkeit führt, sondern zu einer Art der Gleichförmigkeit. Alle folgen den gleichen Vorstellungen davon, wie „authentisch“ auszusehen hat. Alle suchen nach dem gleichen „Ich“. Alle inszenieren sich auf ähnliche Weise – nur eben individuell verpackt.

Und genau dieses Phänomen spüre ich auch in der Tanzszene. Viele wollen besonders wirken, eigen, eben individuell und ganz anders wie alle anderen.


Doch am Ende entstehen zwangsläufig Trends, Codes, Moves, Posen, Hashtags – denen alle folgen. Authentizität wird zur neuen Ästhetik. Individualität wird zur perfektionierten Choreografie.Und das ECHTE wird irgendwie UNECHT und wirkt befremdlich... womit es sein ursprünglichen Kern verliert.

Wahre Individualität entsteht nicht durch absichtliche Selbstdarstellung, sondern durch die innere Entwicklung – oft ganz leise, im Unterricht, im Training, im Scheitern, im Verstehen. Sie ist unauffällig und kontinuierlich und kommt nur dann auf einmal zum Vorschein, wenn die vielen kleinen Schritte bereits im Inneren vollendet sind oder auf einem fortschreitenden Weg sind.


Der Mut, anders zu sein

Vielleicht ist es heute mutiger denn je, nicht überall sichtbar zu sein. Mutiger, Qualität über Reichweite zu stellen. Mutiger, sich nicht von jeder Trendwelle tragen zu lassen.

Mutiger, zu sagen:

Ich muss nicht überall dazugehören. Ich möchte an den richtigen Stellen wachsen.

Vielleicht dürfen wir als Szene wieder lernen, dass echte Qualität oft leise ist. Nicht immer gefilmt. Nicht immer gepostet. Nicht immer beklatscht.

Manchmal ist sie einfach da. Still, kraftvoll und echt.

Und genau das macht sie so wertvoll.


Und vielleicht ist dies dann die eigentliche Authentizität, nach der wir alle dann doch bereitwillig streben. Sich selbst treu zu sein, dem nachzugehen, was Freude bereitet und sich schlußendlich trotzdem verbunden zu fühlen. Ein Teil des Ganzen zu werden.

Ein wertvoller Stern am Himmel der Gestirne, der strahlt. Nicht aus einem bestimmten Zweck heraus, sondern einfach aus der Kraft des Faktischen: weil er es kann!

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